
2. März 2025
Antisemitismus und Zionismus – Zwei Seiten einer Medaille?
Über die Gemeinsamkeiten beider Ideologien und die Notwendigkeit eines anderen Kampfes gegen Antisemitismus
Antisemitismus und Zionismus werden häufig einander gegenüber gestellt. Antisemitismus sei das Problem und Zionismus die Lösung.
Zionismus in seiner modernen Ausprägung war zwar Reaktion auf den im 18. und 19. Jahrhundert aufkeimenden europäischen Antisemitismus, griff jedoch zumindest teilweise auf die gleiche ideologische Grundlage zurück.
Wesentlicher programmatischer Inhalt des Zionismus ist die Errichtung und Aufrechterhaltung einer sogenannten nationalen Heimstätte des jüdischen Volkes in Palästina, dessen Ansprüche i.d.R. aus den behaupteten Gebieten der Königreiche Israel und Juda abgeleitet werden. Damit einher geht nicht nur die staatliche Selbstorganisation durch jüdische Menschen, sondern
das andauernde und ständige Werben für Zuwanderung von jüdischen Menschen.
Darin lässt sich schon die wesentliche Gemeinsamkeit zwischen Antisemitismus und Zionismus erkennen: Die Denaturalisierung der jüdischen Bevölkerung in „fremden“ Nationalstaaten.
Der Antisemitismus im 19. Jahrhundert war, anders als der des deutschen Faschismus, noch kein Vernichtungsantisemitismus, wenngleich er schlussendlich zu diesem führte. Er war eine rassistische Ideologie, die vermeintlich jüdische Eigenschaften biologisierte und Menschen jüdischer Abstammung, unabhängig von ihrer Religion, zu Fremdkörpern innerhalb der jeweiligen europäischen Nation reduzierte. Deutschen, Franzosen, Briten, Belgiern, Polen oder Russen, wurde nach dem Verständnis der Antisemiten ihre Nationalität aberkannt, auch wenn sie seit Generationen in dem Gebiet, als Teil eben jener Nationen gelebt haben.
Ganz ähnlich der zionistischen Sichtweise. Jüdische Menschen, die überall in Europa und auf der Welt ein Zuhause, eine Heimat hatten, waren nun in erster Linie Juden und Jüdinnen, die eigentlich in ihre nationale Heimstätte „zurückkehren“ sollten. Das findet sich in der Politik Israels bis heute wieder, wonach jüdische Menschen in aller Welt ein sogenanntes Rückkehrrecht nach Israel haben, ob aus Brooklyn oder aus Äthiopien - wobei man festhalten muss, dass dieses Recht in der Realität für bestimmte Menschen einfacher einzufordern ist.
Diese Denaturalisierung ist Grundlage für eine Vertreibung der heimischen jüdischen Bevölkerung in ihr „angestammtes Land“ gewesen. So schloss das Deutsche Reich im Faschismus das Havara-Abkommen, was die Aussiedlung der deutschen Juden und Jüdinnen nach Palästina reglementierte.
Noch in den 30er Jahren schien die Deportation der jüdischen Deutschen nach Palästina als Alternative zu der Vernichtung zur Debatte. Eichmann selbst arbeitet Jahre lang daran, die europäischen Juden zum Auswandern zu bringen, unter anderem nach Palästina - also sie zu vertreiben. Auch andere namhafte Antisemiten waren und sind überzeugte Zionisten.
So sind heute noch bedeutende Teile der amerikanischen Evangelikalen überzeugte Zionisten, und dass nicht, weil sie eine sichere Heimstätte für Jüdinnen und Juden haben wollen, sondern weil sie jüdische Menschen nicht bei sich haben wollen.
Insgesamt scheint es so, als möchten beide, Zionisten und Antisemiten, in jüdischen Menschen so etwas wie einen monolithischen Block sehen, eine homogene Masse. Für die einen sind jüdische Menschen, dass raffende Finanzkapital und Verschwörer, für die anderen sind alle jüdischen Menschen durch Israel vertreten. Die Diversität jüdischer Menschen wird negiert.
Es ist so als würden Antisemiten und Zionisten auf unterschiedlichen Wegen zum gleichen Ergebnis kommen. Zionisten sagen direkt heraus, jüdische Menschen gehören nach Israel, es ist ihre nationale Heimstätte. Eine Positivbestimmung darüber, was Heimat der jüdischen Menschen ist.
Antisemiten arbeiten dagegen mit einer Negativbestimmung. Sie bestimmen, wohin Juden überall nicht gehören, und übrig bleibt dann irgendwann Palästina.
Nun soll die Heimstätte der Jüdinnen und Juden weltweit Israel sein? Nicht mehr die Länder, in denen sie seit Generationen leben? Nicht die Länder, in denen sie geboren und aufgewachsen sind? Jüdische Menschen gehören hier her, sie gehören nach Deutschland, nach Europa und überall auf diese Welt, sie gehören zu uns.
Deshalb müssen wir uns eben auch im Sinne des Kampfes gegen den grassierenden Antisemitismus entschieden gegen den Zionismus, gegen diese Denaturalisierung, wenden. Der Kampf gegen Antisemitismus heißt eben nicht auf Israel als sichere Zuflucht zu verweisen, sondern sich eben gegen die Antisemiten hier zu stellen - in den Behörden, in den Verlags- und Medienhäusern, in der Polizei, in den Parlamenten, in den Gerichten und den Universitäten.