
2. März 2025
Erfahrungsbericht aus Berlin
Antimuslimischer Rassismus an der Uni
Aus dem offenen und ultra-liberalen Berlin. Wir sind ja bekanntlich super divers. Aber Muslime? So divers nun auch wieder nicht!
Draußen regnete es in Strömen, weshalb das Foyer der Bibliothek überfüllt war. Ich war erst draußen und telefonierte mit meiner Mutter, bei der ich mich über meine nervenzerreibende Masterthesis beschwerte. Ich ging in das Foyer und setzte mich auf einen eckigen Holzsitzplatz. Um mich herum saßen mehrere Studis, die sich unterhielten und neben den Sitzplätzen noch mal rund 30 Leute an den Tischen. Neben mir auf dem Boden saß ein Typ, den ich zunächst gar nicht bemerkt hatte.
Ich hatte mich gerade erst hingesetzt und war noch am Telefonieren als ich hörte wie er in einem aggressiven Ton sagte: »Halt einfach die Fresse und zieh dein scheiß Tuch aus«. Wow. Ich gab ihm einen kleinen Vertrauensvorschuss und dachte: »Ich bin selbst im Moment relativ neben der Spur wegen meiner Thesis. Vielleicht habe ich mich verhört. Vielleicht regt sich der Typ einfach über etwas auf seinem Laptop auf.« Natürlich wiederholte er sich, während ich zunächst versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass ich ihn hören kann. Ich hatte Kopfhörer an, welche gut zu sehen waren. Nach seinem dritten »zieh einfach dein scheiß Tuch aus«, welches er leicht geistesabwesend, aber immer noch in einem sehr aggressiven Ton aussprach, konnte ich mich nicht länger zurückhalten.
Natürlich habe ich eine Millisekunde mit dem Gedanken gespielt es zu ignorieren und die Dumme zu spielen, um mir den Stress zu sparen. Ich drehte meinen Kopf langsam in seine Richtung und reflexartig drehte er seinen Kopf in die andere Richtung. Ich forderte ihn in einem ruhigen Ton auf mir das, was er eben gesagt hat laut ins Gesicht zu sagen, wenn er sich traut. Obwohl es offensichtlich war, dass ich ihn angesprochen hatte, stellte sich der Typ auf einmal taub, also wiederholte ich etwas lauter und sagte: »Ja genau mit dir auf dem Boden rede ich«. Erst dann drehte er sein Gesicht in meine Richtung und hatte ein widerliches provokantes Lächeln aufgesetzt. Plötzlich fing er an sich über andere Studis zu beschweren die auch die ganze Zeit laut gewesen wären. Da musste ich ihn erst mal daran erinnern, dass in der Bibliothek verdammte 1 200 Arbeitsplätze für stilles Arbeiten vorgesehen sind, während er im einzigen Teil des Gebäudes sitzt in dem man laut sein und telefonieren darf. Mir war von Anfang an bewusst, dass er sich nicht über meinen »Lärm« aufgeregt hatte (ich saß ja nicht mal 20 Sekunden neben ihm als er schon so eine Scheiße von sich gab), sondern er störte sich nur an meiner Existenz. Das merkte man an dem nächsten Satz, den er brachte als er realisierte, dass es sinnlos war sich über meine »Lautstärke« zu beschweren, weil er auch noch von zig anderen Menschen umgeben war, welche sich lautstark unterhielten: »Ich wurde von einem verfickten Muslim missbraucht!« (Kann mir nicht ausmalen was passiert wäre, wenn eine andere religiöse Minderheit in diesem Satz genannt worden wäre) sagte er in einem sehr emotionalen Ton, gepaart mit einem vorwurfsvollen Blick, den ich mir zunächst nicht erklären konnte.
Wollte dieser erbärmliche Typ, dass ich jetzt Mitleid mit ihm habe und empathisch mit seinen Beleidigungen umgehe? Genau das sagte ich ihm auch »mir doch scheiß egal! Was hat das mit mir zu tun? Was hat mein Tuch damit zu tun? Du meintest doch gerade ich soll mein scheiß Tuch ausziehen oder nicht?« Nun, wo gefühlt alle um uns herum zuhörten, wollte er sich nicht mehr wiederholen.
Solidarität? Fehlanzeige. Außer einem netten Kerl – bei dem ich mich hier ganz herzlich bedanken möchte – der neben uns saß und fragte, ob wir das auch »draußen ausdiskutieren können«. Er wollte mich also im Regen stehen lassen mit dem scheiß Rassisten (sorry für das schlechte Wortspiel). Als ich ihn anfuhr, ob das sein scheiß Ernst ist und wieso er nicht minimal sensibilisiert sein kann für die Diskriminierung, welche sich vor seiner Nase abspielt, entgegnete er: »ich weiß ja gar nicht um was es geht«. Er und seine Freundin saßen direkt neben uns und es war unmöglich, dass er überhört hatte, wie ich den Typen mehrmals lautstark konfrontierte, dass er nicht so einen rassistischen Scheiß von sich geben sollte. Während ich vertieft in der Diskussion mit dem Typ auf dem Boden war, sagte der Kerl nebenan in einem halblauten Ton: »Lass sie doch ihr Tuch tragen«. Danke. Vielen Dank, dass man mir erlauben sollte, zu tragen was ich möchte. Kann man sich nicht ausdenken, aber zwischen den Zeilen dieser Aussage steht: »Hey, also halte ja auch nichts von ihrem Kopftuch, aber lass sie halt einfach machen, erlaub’s ihr, sei so gütig«. Später realisierte ich erst, dass er und seine Freundin sich weggesetzt hatten, um ihr Kaffeekränzchen ohne weitere Störungen fortzuführen. Ich muss an dieser Stelle ehrlich sagen, dass in Retrospektive jener »ultra-solidarische Typ« mich mehr aufgeregt hatte als der Versager auf dem Boden. Er würde wahrscheinlich selbst nicht als »deutsch« gelesen werden, aber da er bei einem rassistischen Vorfall wählte diesen zu ignorieren hat er definitiv die letzte Stufe der Integration erreicht. Herzlichen Glückwunsch du bist ein waschechter Alman.
Um auf den (zumindest offensichtlichen) Rassisten zurückzukommen: Als er anfing irgendwas darüber zu erzählen, dass er kein Ventil für seine Wut hätte, außer heulend Klavier zu spielen, dachte ich mir nur du scheiß Wohlstands-Alman willst mir was von deinen Problemen erzählen. Dennoch versuchte ich ruhig zu bleiben und sagte, dass mich auch immer wieder Leute abfucken, aber ich dann nicht rumlaufe und Menschen rassistisch beleidigen würde. Ich klärte ihn auf, dass 2022 rassistische Dinge nicht mehr laut gesagt werden können und bot ihm an, dass er denken kann wie er will solange ich es nicht höre. Als er entgegnete, dass es nicht immer »diplomatisch« geht, dachte ich fast, dass er es bereut so einen Scheiß von sich gegeben zu haben (oder zumindest erwischt worden zu sein). Er weigerte sich jedoch, sich zu entschuldigen. Stattdessen schwafelte er etwas über Graue Wölfe und Mili Görüs und dass wir über die reden könnten, wenn wir schon bei Rassismus sind. Ich ging gar nicht inhaltlich darauf ein (obwohl die Politikwissenschaftlerin in mir ihn argumentativ auseinander nehmen wollte) und erwartete auch nicht von einem drecks Rassisten, dass er schlau genug ist um zu wissen, dass nicht alle Mädchen die Kopftuch tragen Türkinnen sind.
Obwohl ich ihn bat, einfach still zu sein, hörte er nicht auf zu reden und wollte mir etwas über seine Koran Übersetzungen erzählen: »Siehst du, ich versuche mich eurer Kultur anzubiedern und etwas über euch zu lernen obwohl mich das ja alles nicht interessiert, aber das muss man ja in Berlin, um mit Ihnen und Ihresgleichen zu kommunizieren«. Alles klar, der weiße Mann, der versucht den mysteriösen Orient und seine Menschen zu verstehen (gabs ja noch nie!). Nun war ich auch am Ende meiner Geduld angekommen und erwiderte: »Junge was laberst du überhaupt, lass dich einfach behandeln, du scheinst es zu brauchen«. Er entgegnete mir in seinem gedämpften Ton, den er über die ganze Diskussion beibehalten hatte: »Jetzt bin ich auch noch dein Junge okay«. Also wollte er ernsthaft, dass ich »seriös« bleibe, nachdem er mich beleidigt hatte. Nicht zu glauben. Obwohl – gar nicht so ein unbekanntes Muster des »weißen gelassenen Mannes« und der »aggressiven ethnic Woman«.
Am Ende dieses extrem anstrengenden Vorfalls, war ich einerseits froh, dass ich ihn konfrontiert hatte, andererseits bereute ich in meiner Wut vergessen zu haben, dass meine Mutter noch am Telefon war und alles mitbekommen hatte. Nicht mal im Anschluss der Diskussion kam eine einzige Person um zumindest ein halbherziges »Ach scheiß drauf« da zu lassen. An einem Ort, der nur so überläuft von selbstgerechten Möchtegern-Aktivisten war das schon, milde formuliert, eine sehr schwache Leistung.
Diesen Bericht würde ich sehr gerne einer ganz bestimmten Gruppe widmen (fühlt euch bitte angesprochen): an alle meine woken Hipster-Miststudierenden, die »Anti-Rassisten«, die »Anti-Faschisten« und alle andere Wohlstands-Hobby-Sozialisten. Danke für eure solidarische Haltung auch außerhalb von Social Media. NICHT.