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2. März 2025

Interview mit Eve*

Erfahrung mit antimuslimischem Rassismus an der Uni

Erstmal vielen Dank, dass du bereit bist, uns ein Interview zu geben! Über seine Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung zu sprechen kann sehr schwer sein. Zuerst erzähl vielleicht ein wenig über dich - wo und welches Fach hast du studiert, was machst du sonst so in deinem Leben?

Ich habe Bauingenieurwesen an der Hochschule Darmstadt studiert, 2019 meinen Bachelor gemacht und 2020 meinen Master. Jetzt arbeite ich als Bauingenieurin.

Welche Erfahrung mit antimuslimischem Rassismus hast du an der Uni gemacht?

Ich habe mehrere Erfahrungen mit antimuslimischem Rassismus an der Uni gemacht. Über eine für mich besonders Prägende möchte ich hier sprechen. Damals habe ich gerade nach einem Betreuer für meine Masterarbeit gesucht. Ich habe mir dann einen Professor ausgesucht, bei dem ich unbedingt meine Masterarbeit schreiben wollte, weil sein Schwerpunkt genau mein Interessensgebiet »Bauen im Bestand« war. Ein typisch deutscher Professor, in seinen 50ern. Ich hatte damals den Eindruck, dass er offen ist Studierende zu betreuen, ich hatte auch zwei Module bei ihm, aber noch kein Ergebnis bekommen. Dann habe ich mein Thema ausgesucht und er hat mir einen Betreuer vorgeschlagen, mit dem ich mich dann in Verbindung gesetzt und eine Baustelle in Frankfurt besucht habe. Bis dahin lief alles ganz gut, ich war vor Ort, habe Fotos gemacht und hab mir schon mein Inhaltsverzeichnis überlegt. Per Mail habe ich dem Betreuer dann genauere Vorschläge unterbreitet – worauf hin dieser sich mit dem Prof rücksprechen wollte.

Der Prof selbst war per E-Mail immer kurz angebunden und hat nur mit »Ok« oder »Ja« geantwortet. Das habe ich aber nicht direkt persönlich genommen, ich dachte halt das ist so seine Art. Dann habe ich irgendwann eine E-Mail bekommen, die alles geändert hat. Kurz darauf bekam ich auch die Noten aus seinen Modulen. Da war dann für mich klar, dass ich bei ihm nicht meine Abschlussarbeit schreiben werde. Aber dazu gleich.

Ich hatte die Mail erst mal nur überflogen und nicht ganz gelesen. Es war ein kompletter E-Mail-Verlauf zwischen meinem Betreuer und dem Professor. Ich habe die E-Mail einer Freundin gezeigt. Sie hat mich dann gefragt: Hast du das alles gelesen?

Das war die Mail, in der der Professor dem Betreuer zum ersten Mal von meiner Thesis erzählt hat. Seine Formulierung lautete in etwa so »Ja da läuft ja so eine verschleierte Studentin rum, die will ja ihre Thesis schreiben, was sollen wir der als Thema geben.« Ich war erst mal geschockt, wie jemand so offen abwertend über dich gegenüber Dritten reden kann. Ich hatte schon davor gemerkt, dass er etwas komisch ist, aber dachte mir »ist doch egal, es geht ja nur um die Note«. Als ich dann die Mail las, war es wie ein Schlag in die Magengrube. Ich wollte bis Ende Oktober meine Thesis fertig haben und im Juni hatte ich ihn angesprochen. Im August kam dann diese E-Mail und die Zeit ist mir davongerannt. Ich war schon zwei Monate mit der Vorarbeit beschäftigt, hatte die Baustelle besucht, die Themenwahl abgeschlossen.

Hättest du davor damit gerechnet?

In dieser Form nicht, ehrlich gesagt. Ich hatte z. B. von ihm in zwei Fächern eine 3.0 bekommen, wo die allermeisten Studierenden eine 1.0, am schlechtesten aber 2.0 bekommen hatten. Das war meine einzige 3.0 in einer mündlichen Prüfung während meines gesamten Studiums.

Wie bist du damit umgegangen? Konntest du mit Leuten darüber reden?

Ich habe mit meinen Freunden und meiner Familie darüber geredet, was ich nun tun soll. Sollte ich einfach trotzdem bei ihm schreiben? Ich habe auch die Gleichberechtigungsbeauftragte an der Uni angerufen, mich aber nicht mal getraut meinen Namen zu nennen. Ihr Vorschlag, nachdem ich den Inhalt der Mail wiedergegeben und gesagt habe, dass ich rassistisch diskriminiert werde, war dann ein Gespräch zu viert mit dem Professor, dem Dekan und mir einzuleiten. Sie hat nicht mal vorgeschlagen, dass ich mir jemanden zur Unterstützung mitnehmen kann. Dann wären also drei Leute vor mir gewesen, als ob ich etwas angestellt hätte. Mach ich nicht, habe ich dann gesagt.

Bereits an der TU Darmstadt bin ich mit einem Professor aneinandergeraten und hatte die Erfahrung gemacht, dass ich im Endeffekt am kürzeren Hebel sitze. So kurz vor Ende wollte ich nun meinen Abschluss nicht gefährden. Schlussendlich wechselte ich den Professor und habe im Oktober trotzdem mit komplett neuem Thema abgegeben. Unter massivem Druck habe ich das ausgebadet, was der Prof falsch gemacht hat. Als ich dann meinen Abschluss hatte, war ich wie benommen und konnte es gar nicht so realisieren.

Ziemlich krass, wie du das dann in zwei Monaten durchgezogen hast. Gab es irgendwelche Konsequenzen für den Prof?

Gar keine, es wurde ja auch nichts eingeleitet. Der Fachbereich Bauingenieurwesen ist überschaubar, die meisten Professoren kennen sich teilweise schon Jahrzehnte und ich hatte nicht das Gefühl meine Erfahrung ansprechen zu können, ohne negative Konsequenzen zu erfahren.

Die Gleichstellungsbeauftragte hatte auch die glorreiche Idee, ihm zu erklären, dass sein Verhalten falsch war und er sich entschuldigen soll. Ich habe dann gesagt, dass ich nicht glaube, dass ich ihn erziehen muss und auch nicht, dass dies ein einmaliger »Ausrutscher« war. Ich möchte auch meine Zukunft nicht aufs Spiel setzen.

Denkst du, dass dein Fall nur eine Einzelgeschichte war oder auch andere betrifft?

Unter ausländischen und Studis mit Migrationsbackground ging das Gerücht herum, dass bestimmte Professoren »eigensinnig« sind – so wird das hier gesagt. Ein anderer Professor gibt z.B. ausländischen Studierenden z.B. prinzipiell erst ab 2,0. Während meine blonden Kommilitoninnen immer sehr gute Noten bekommen haben.

Viele denken ja, dass Rassismus eher von zu wenig Bildung kommt: gerade an der Uni ist das ja wohl nicht das Problem. Was denkst du also woher das kommt?

Ich denke Rassismus hat nichts mit Bildung zu tun – zumindest an der Uni, ist es ja so, dass Menschen eigentlich viel Bildung genossen haben. Es kommt auf die Einstellung der Menschen an, ich weiß nicht was diesen Professor dazu gemacht hat. Er war auch sehr arrogant und von sich selbst überzeugt. In seiner Mail sieht man auch, dass er sich nicht im Geringsten schämt, so abwertend über andere Menschen zu sprechen. Als ich ihm dann mitgeteilt habe, dass ich bei einem anderen Professor meine Thesis schreibe, kam nur ein »Ok« zurück.

Im Nachhinein, was für Strukturen an der Uni hätten dir damals geholfen?

Eine andere Antwort von der Gleichstellungsbeauftragten hätte mir geholfen. Sich jemandem anzuvertrauen, ohne direkt selbst negative Konsequenzen davon zu tragen. Also über eine Mittelsperson.

Was würdest du heute Betroffenen raten, die Rassismus und Diskriminierung erfahren?

Ich finde das ist eine schwierige Frage. Auch ich habe viele Ratschläge bekommen, aber nicht alle waren hilfreich. Am Ende des Tages sitzen die am längeren Hebel, egal ob in der Hochschule oder TU Darmstadt. Die gehen ruhig schlafen, egal ob jemand 10 Jahre studiert hat und dann doch ohne Abschluss abgeht.

Gibt es noch etwas, dass du sagen möchtest?

Ich fürchte es ist noch ein langer Weg, bis wir keinen antimuslimischen Rassismus mehr erfahren. Solange es diese Narrative gibt, dass Muslime dumm oder »einfach anders« sind und nicht dazugehören, wird es diesen Alltagsrassismus geben. Manchmal funktioniert dieser Rassismus auch ohne schlechte Absicht.

Ich hatte auch einen anderen Professor, der mich nach einer Präsentation dafür gelobt hat, dass meine deutsche Aussprache gut ist. Ich bin die einzige, die dieses Kompliment bekommen hat. Er meinte das nicht böse, aber mich hat es trotzdem verletzt. Man fühlt sich auf einmal fremd. Meine deutschen Freunde an der Uni haben das nicht so verstanden, während meine muslimischen Kommilitonen empathisch waren, weil sie das selbst kannten. Aber ändert schlussendlich auch nichts daran, dass ich mich nicht zugehörig fühlte. Ich hatte immer das Gefühl, ich muss mich doppelt anstrengen, um die gleichen Noten wie meine weißen/deutschen Kommilitonen zu bekommen. Weil ich anders aussehe. Und an der Uni habe ich dann viel einfach hingenommen, weil ich abgewogen habe.

Es ist jetzt zwei Jahre her, dass ich meinen Master habe. Ich habe überlegt, noch mal zum Dekan zu gehen, oder einen Brief mit meinen Erfahrungen zu schreiben. Auch für andere, die nach mir kommen. Auch wenn ich jetzt Jahre später über diese Mail erzähle, ist es als ob es gestern war. Dieser Schmerz über diesen Verrat, bzw. dieses Gefühl nicht dazuzugehören sitzt immer noch tief.

Bestimmt haben andere die gleichen Erfahrungen bei ihm gemacht.

Ja bestimmt, aber man kennt sich halt nicht.

So aus einer politischen Perspektive denk ich halt, da werden dann zwar so Einzelkämpferinnen wie du gestählt. Aber die Frage ist ja, was man strukturell machen könnte. Deswegen wäre es so wichtig, dass es unabhängige Stellen gibt, an denen gesammelt wird. Wenn dann zwanzig Leute die gleiche Beschwerde einreichen, ist es schon was anderes.

Ich finde, wenn es so eine Stelle gäbe, dann müsste die für uns einstehen, also auch weiße nicht-betroffene Menschen. Wie oft müssen Muslime über antimuslimischen Rassismus sprechen, wo sind die Nicht-Muslime, die sich einsetzen? Wo sind die Beauftragten für antimuslimischen Rassismus? Genauso wie auch Schwarze Menschen immer für sich selbst einstehen müssen und wenig Weiße Menschen aufstehen. Auch meine deutschen Kommilitonen, haben sich damals nicht mit mir solidarisiert. Das ist ein riesiges Problem.

*Name wurde redaktionell geändert.